GQ-Magazin / 19. Oktober 2018 / Wie veröffentlicht
„Deutschland 86“: Ein DDR-Thriller erobert die Welt
Die Agenten-Serie „Deutschland 83“ handelte vom kalten Krieg und zitierte reichhaltig aus dem popkulturellen Leben der 80er-Jahre. Jetzt geht das international erfolgreiche Drama rund um den Spion Martin Rauch (Jonas Nay) weiter. Die Handlung spielt drei Jahre später weitgehend in Südafrika und Angola, aber natürlich auch in Kleinmachnow.
DDR-Geschichten und die Achtzigerjahre sind im Kino und bei Serien momentan voll im Trend: Michael Bully Herbig erzählt mit „Ballon“ eine historische Fluchtgeschichte und „Wackersdorf“ verarbeitet den Beginn der Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland. Auch „Deutschland 83“ von Anna und Jörg Winger spielt mit Ost-West-Konflikten im kalten Krieg: In der Spionage-Serie, die 2015 zuerst bei RTL ausgestrahlt wurde, wird ein DDR-Grenzsoldat (gespielt von Jonas Nay) in die Bundeswehr eingeschleust. Die Serie suchte im Free-TV nach ihrem Publikum. Der echte Siegeszug von „Deutschland 83“ begann aber erst danach, mit der internationalen Vermarktung und dem Verkauf der Rechte an mehr als 30 TV- und Videoplattformen weltweit.
Neil Genzlinger von der New York Times schrieb damals, die Serie wäre „frisch und unterhaltsam“ und Stephen Dalton vom Hollywood Reporter lobte: „Das Thema mag ernst sein, aber der Ton ist auf einnehmende Weise leicht und er belebt die kulturelle und politische Ausstattung des Kalten Krieges in Europa im Nachhinein wieder, wie durch einen Mad-Men-Style-Filter.“ Dem internationalen Publikum scheint die Ost-West-Story gefallen zu haben - unter anderem outeten sich Tom Hanks und Steven Spielberg als Fans. Berechtigterweise, könnte man hinzufügen: Die Agenten-Serie ist tatsächlich sehr gelungen.
Von Südafrika bis nach Angola
Es ist also kein Wunder, dass jetzt eine zweite Staffel mit dem Titel „Deutschland 86“ Premiere feiert: Die zehn neuen Episoden wurden von der UFA Fiction in Zusammenarbeit mit Amazon und weiteren Partnern produziert und sind nun als Prime-Video-Original-Serie zu sehen. Anna Winger, die in Deutschland lebende amerikanische Head-Autorin von „Deutschland 86“, wollte mit der neuen Staffel die internationalen Missionen des DDR-Auslandsgeheimdienstes stärker ins Zentrum der Handlung rücken. Bei einem Medien-Event in London erzählte sie enthusiastisch: „Die zweite Staffel ist eher wie ein Roadtrip: Es ist ein verrücktes Abenteuer, das durch Nationen wie Südafrika, Angola, Libyen und wieder zurück nach Ostdeutschland führt.“
Harte Devisen für die desolate DDR
Die Handlung des neuen Zehnteilers erzählt die Geschichte von Martin Rauch (Jonas Nay) und seiner Tante Lenora (Maria Schrader) weiter. Drei Jahre nach dem Ende von „Deutschland 83“ entsendet die ostdeutsche Führung Agenten ins Ausland, um Devisen für die marode DDR einzutreiben. Hintergrund: Der sozialistische Staat ist hoch verschuldet und befürchtet, von Moskau fallen gelassen zu werden. Um wieder frisches Kapital ins Land zu bringen, bildet die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) zusammen mit der Wirtschaftseinheit des Außenministeriums eine gemeinsame Sonderkommission.
Martin, der nach Afrika verbannt worden ist, wird nun von seiner machthungrigen Tante für den nächsten dreckigen Job rekrutiert. Und das alles vor dem Hintergrund der Perestroika, dem Kampf gegen die Apartheid in Südafrika und weiteren Stellvertreterkriegen der großen Mächte. In vielen Nebenschauplätzen dreht sich die Story außerdem um illegale Waffendeals, den Verkauf von Blutkonserven und die Entsorgung von Müll im Osten.
Lenora Rauch hat die letzten Jahre in Südafrika verbracht – dort hat sie sich mit der ANC-Agentin Rose verbündet, die einem bewaffneten Arm des African National Congresses angehört. Die Frau mit dem Kurzhaarschnitt wird verkörpert von der tollen deutschen Schauspielerin Florence Kasumba, bekannt aus „Black Panther“ oder „Avengers: Infinity War“.
Als der Spion Martin Rauch schließlich nach seiner Odyssee durch verschiedene Staaten wieder in der DDR landet, muss er eine unmögliche Entscheidung fällen.
Was fehlt: Die Möglichkeit einer Enttarnung
„Deutschland 86“ beginnt spannend im Hafen von Kapstadt – doch der Thrill hält nicht lange an: Ab der dritten Episode mäandert die Handlung durch verschiedene exotische Kulissen, wie zum Beispiel eine Ölraffinerie in Angola oder ein Beduinenlager in der libyschen Wüste. Danach ist Paris an der Reihe – die Welthauptstadt der Liebenden – in der Martin alias Super-Agent „Kolibri“ ein stürmisches Verhältnis mit der schönen Spionin Brigitte hat, die von Lavinia Wilson dargestellt wird. Als das Drama wieder an Fahrt gewinnt, hat die Handlung bereits die fünfte Folge erreicht.
Während „Deutschland 83“ von der Fragilität einer möglichen Agenten-Enttarnung profitierte und den Charme der 80er-Jahre atmete, wirkt der Nachfolger eher wie eine kunterbunte Ansammlung von Spionage-Klischees. Das könnte vielleicht auch der Grund sein, warum einem die handelnden Personen relativ egal sind – man leidet nicht mit bei stilisierten Charakteren wie dem Söldner Gary Banks (Jonathan Pienaar), der mit wirren Haaren und einem Kilo Theaterschminke im Gesicht einem „Indiana Jones“- Abenteuer entsprungen sein könnte.
Man wundert sich über Figuren wie die Buchhalterin Barbara Dietrich, die von Anke Engelke offenbar lustig angelegt sein soll, dann aber nicht halten kann, was sie verspricht. Trotzdem muss man den Machern von „Deutschland 86“ irgendwie dankbar sein, schließlich versucht die Serie den real-historischen Hintergrund und die Komplexität des Ost-West-Konfliktes auf fiktionale Weise zu erklären. Und das demnächst dann auch noch mit einem von Anna Winger in London angekündigten Nachfolger, der „Deutschland 89“ heißen wird: „Vorsicht Spoiler: Die Mauer wird fallen.“
„Deutschland 86“ ist ab dem 19. Oktober bei Prime Video abrufbar.
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Images / Copyright: Amazon Prime Video